Magia naturalis – Vorläufer der modernen Esoterik

Momentan beschäftige ich mich kulturhistorisch mit esoterischen Vorstellungen in der Neuzeit. Heute ist Otto Brunfels (1488-1534) im Blick, Theologe, Humanist und Mitbegründer der modernen Botanik. Sein Werk ›Herbarum vivae eicones‹ enthält die ersten gedruckten Pflanzenabbildungen, die mithilfe echter Exemplare naturgetreu und realistisch angefertigt wurden.

Die deutsche Bearbeitung des ›Herbarum vivae eicones‹ erschien als ›Contrafayt Kreüterbůch‹ zwischen 1532–1537 und gibt einen Einblick in die Stellung esoterischen Wissens in der Neuzeit, das für die aktuelle Auseinandersetzung mit dem modernen Esoterik-Boom wichtig ist.

Brunfels knüpft an die Traditionslinie des gnostischen Neuplatonismus an, indem er auf die Ursprünge eines vergessenen, aber in alten Zeiten beherrschten Verbund (magischer) Praktiken verweist.

Sinngemäß übersetzt, schreibt er in seiner Vorrede zu den Wunderwerken und Mirakeln der Kräuter [1]:

Wo uns diese bewusst sind und wir auch so gerissen wären wie die Alten nachzugründen, so würden wir heutzutage gleich die Wunderwerke der Alten nicht als Zauberei und Hexenwerk abtun, sondern als Eigenschaften der Geschöpfe samt der Einflüsse des Himmels und der Gestirne. Die vielen Dinge, die wir verlachen oder für unmöglich halten, so wie jene, die wir bei Plinius dem Älteren oder den alten Historienschreibern lesen, sind nützlich und wirken von Gott dazu verordnet seit Anbeginn der Weltschöpfung. Die Kunst der Alten hat man magia naturalis genannt und ihr großer Wert ist weder jedermann zugelassen noch bewusst, sondern allein den Philosophen, den Weisen von großmächtigem Herz bekannt. Diese heilige Kunst ist seitdem wie auch unser Gotteswort in einen Missbrauch gekommen, den die nachkommenden Abgöttlichen mit vielen Stümpereien abergläubischen Werks, mit Zaubereien der schwarzen Kunst vermischt haben und damit bei den Juden und bei den Christen, ja auch bei den alten Römern als eine abergläubische Kunst verdammt und niedergelegt worden.

Das Stichwort magia naturalis ist entscheidend. Bis ins 18. Jahrhundert wurde die magia naturalis, d.h. die natürliche Magie der philosophia naturalis gegenübergestellt, die als eigentliche Naturwissenschaft aufgefasst wurde. Letztere befasst sich mit den sichtbaren Phänomenen, erstere mit den unsichtbaren Kräften, zu denen aus heutiger Sicht u.a. Magnetismus, Gezeiten, Elektrostatik, Kapillarkräfte usw. zählen würden.

Mit der Renaissance wurde durch den Philosophen und Humanisten Marsilio Ficino (1433-1499) die magia naturalis mit gnostischen, hermetischen und neuplatonischen Ideen angereichert.

Unter Hermetismus ist ein antikes, mit Bezügen zum Platonismus ausgestattetes und dann in der Frührenaissance aufgegriffenes Dogma zu verstehen, das zahlreiche okkulte Elemente kombiniert. Darunter zu finden sind etwa Vorstellungen sogenannter geistiger Welten, Astrologie, Alchemie und mit fortlaufender Zeit auch wahllos ausgewählte Bruchstücke aus verschiedensten religiösen Traditionen. Diese bunte Mischung wurde zusätzlich mit Behauptungen spiritueller Offenbarung eines vermeintlich uralten Wissens kombiniert und bildet die Grundlage dafür, was wir heute als ›Esoterik‹ verstehen.

In Ficinos Werk zeigen sich in aller Deutlichkeit die auch uns heutzutage bekannten esoterischen Vorstellungen und Praktiken, etwa die der Makro-Mikrokosmos-Gleichsetzung, der Wirkung von Planetenkräften, die Lehre von Talismanen etc.

Die Manipulation der verborgenen Kräfte des Kosmos, die in esoterischen Praktiken bis heute die wesentliche Funktion abbilden, wird in der Neuzeit im Rückgriff auf eine imaginierte Tradition uralten Wissens ausformuliert.

Brunfels wendet den Willen, diese Kräfte nutzbar zu machen, auf die Welt der Pflanzen an und beschreibt ihre überlieferten Wirkungen und Anwendungsmöglichkeiten, die er aus Historien und dem antiken enzyklopädischen Werk der Naturkunde ›Naturalis historia‹ von Plinius dem Älteren bezieht.

Interessant ist u.a. seine Beschreibung des giftigen Nachtschattens, erneut sinngemäß übersetzt: Dies Kraut wird auch sonst gebraucht wider die Schäden, die die Hexen den Leuten zufügen und das auf mancherlei Weise, noch Gelegenheit des widerfahrenden Schadens, nicht auf sonderliche Superstition und Magie.

Quellen

[1] Brunfels, Otto: Contrafayt Kreüterbuch. Straßburg: Schott, 1532, aus der Vorrede zum X. Kapitel.

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