Dieser Beitrag widmet sich einer Besprechung von Andreas Antons und Alan Schinks gemeinsamen Buch mit dem Titel ›Der Kampf um die Wahrheit. Verschwörungstheorien zwischen Fake, Fiktion und Fakten‹, das im Komplett-Media Verlag im August 2021 erschienen ist.
Review
Anton, Andreas; Schink, Alan: Der Kampf um die Wahrheit. Verschwörungstheorien zwischen Fake, Fiktion und Fakten. München: Komplett-Media Verlag, 2021.
Die Autoren Schink und Anton verfolgen in ihrem gemeinsamen Buch einen Ansatz, der jener pauschalen öffentlichen Wahrnehmung und Einschätzung von Verschwörungstheorien zuwider geht. Ihre These lautet, dass Verschwörungstheorien ein „legitimer und sogar wichtiger Bestandteil offener Gesellschaften“ (S. 287) sind.
Zugunsten eines analytisch sinnvollen Gebrauchs des Begriffs ›Verschwörungstheorie‹ lösen die Autoren sich von dessen Verwendung als stets negativ konnotierten Kampfbegriff. Indessen wird eine Umdeutung, wie sie von anderen Autor*innen als ›Verschwörungsmythos‹ oder ›Verschwörungserzählung‹ aufgegriffen wird, abgelehnt: „Letztlich gibt es keinen zwingenden Grund, in der wissenschaftlichen Diskussion auf den Begriff ›Verschwörungstheorie‹ zu verzichten oder ihn durch einen anderen zu ersetzen. Eine Verschwörungstheorie ist […] zunächst einmal nichts anderes als ein Erklärungsansatz, der aktuelle oder historische Zustände oder Ereignisse als Ergebnis einer Verschwörung interpretiert“ (S. 20).
Mit dieser weiten Definition des Begriffs ›Verschwörungstheorie‹ entfällt erstens die normative Aufladung und zweitens existieren nun analytische Kriterien, um zu bestimmen, wann eine Verschwörungstheorie vorliegt oder nicht. Das ernsthafte Bestreben, den Begriff der Verschwörungstheorie analytisch sinnvoll zu erfassen und zu gebrauchen, hebt das Buch von anderen Arbeiten zu diesem Thema ab.
So fasst zum Beispiel der Religionswissenschaftler Michael Blume Verschwörungstheorien strikt als ›Verschwörungsmythos‹ auf, das immer auf einer dualistischen Fehlhaltung basiere, die er als ›platonische Falle‹ bezeichnet. ›Verschwörungsmythen‹ seien kaum rational, sondern stets emotional fundiert und angstgetriebene Einstellungen [1]. Diese Definition entspricht eher dem allgemeinen Sprachgebrauch und der Verwendung des Begriffs ›Verschwörungstheorie‹ als Kampfbegriff und klare Abwertung.
Problematisch ist hierbei jedoch die nicht vorhandene Klärung, wie überhaupt bestimmt werden kann, was eine Verschwörungstheorie ist, außer durch eine wie auch immer legitimierte Autorität, die für andere Personen mit Gewissheit identifiziert, dass sie sich in der ›platonischen Falle‹ verfangen haben. Dies zu vertreten, scheint kaum auf andere Weise möglich zu sein als durch die Festlegung einer klaren Trennlinie zwischen Wahrheit, Wissenschaft und epistemischer Legitimität und ihren jeweiligen Gegenteilen.
Genau hier sehen die Autoren ein zentrales Problem, das den Kurs ihres Buches bestimmt und im Titel ›Der Kampf um die Wahrheit. Verschwörungstheorien zwischen Fake, Fiktion und Fakten‹ treffend eingefangen ist. Verschwörungstheorien im neutralen Sinne können vorab per se nicht als falsch ausgezeichnet werden: Die Geschichte zeigt, dass sich Verschwörungstheorien eben zwischen Fake, Fiktion und Fakten bewegen. So galt zum Beispiel die Watergate-Affäre zu ihrer Zeit als Verschwörungstheorie, ist nun seit Langem aber faktisch richtig als echte Verschwörung sozial anerkannt.
Die anfängliche Begriffsklärung und der abschließende Ausblick zum angemessenen Umgang mit Verschwörungstheorien bilden den Rahmen für sieben Kapitel, die sich mit einzelnen Verschwörungstheorien befassen. Sie erstrecken sich von geheimdienstlichen Operationen, den Menschenexperimenten der CIA, Verschwörungstheorien zum 11. September 2001, QAnon, NSU-Komplex, UFOs, rituellen Missbrauch, Chemtrails und Reptilienmenschen.
Die Ausführung zu dieser Auswahl spezifischer verschwörungstheoretischer Inhalte ist nicht nur informativ, sondern wirft ein umso wichtigeres differenziertes Bild auf die Entstehung, den Umgang und die Hintergründe von Verschwörungstheorien. Deutlich wird, dass die Autoren ihren anfangs aufgestellten Grundsatz einer „›offenen‹ Herangehensweise an das Phänomen Verschwörungstheorie“ (S. 11) konsequent verfolgen. Der Verfasser dieses Reviews merkt an, dass er keine inhaltliche Bewertung und Beurteilung zu diesen Inhalten und ihrer im Buch erfolgten Darstellung vornehmen kann. Tatsächlich kann man diese Inhalte in ihrer historischen Spezifität ausklammern, weil sie überhaupt nicht im Zentrum des Buchs stehen.
Sie dienen lediglich als Illustrationen zugunsten einer Argumentation, dass Verschwörungstheorien in zweierlei Hinsicht eine Herausforderung für tolerante und demokratische Gesellschaften darstellen: „Zum einen, weil sie zum Teil mit Haltungen verbunden sind, die die Prinzipien der offenen Gesellschaft explizit ablehnen. Zum anderen aber auch und insbesondere deshalb, weil der ›Kampf gegen Verschwörungstheorien‹ immer häufiger mit Mitteln durchgeführt wird, die selbst eine Bedrohung für die offene Gesellschaft darstellen“ (S. 287).
Die Autoren verdeutlichen durchaus, dass Verschwörungstheorien gefährlich sind und sein können. Sie betonen jedoch auch eine bislang kaum beachtete Gefahr, die dort lauert, wo der entschiedene Umgang mit Verschwörungstheorien ansteht: „Demokratien müssen gegen Extremismus, Hass und Hetze vorgehen […] Die Frage ist allerdings, wie dies am besten gelingt. Im Kampf gegen Verschwörungstheorien, Fake News und ›Hate Speech‹ haben Regierungen und Privatkonzerne in den letzten Jahren zunehmend auf Mittel der Informationskontrolle, Zensur und Überwachung gesetzt“ (S. 271).
Dieses Vorgehen widmet sich nicht dem eigentlichen Problem der Entstehung und Verbreitung von Verschwörungstheorien vor allem in den sozialen Medien. Den Vorwurf ›Verschwörungstheorie‹ als allgegenwärtigen Kampfbegriff parat zu haben, erzeugt ein weiteres Problem, denn echte Verschwörungen hat es gegeben, genau wie ausgeprägte Vertuschungsprogramme, die durch die Denunziation als ›Verschwörungstheoretiker*in‹ Hinweise auf mögliche soziale Umstände und potenziell angemessene Sorgen ausgrenzen. Die „appellative Funktion von Verschwörungstheorien“ (S. 210) wird verkannt.
Dies ist kein Appell dafür, Verschwörungstheorien unbesehen anzunehmen oder ihnen vorweg mehr Glaubwürdigkeit beizumessen. Vielmehr müsse die Verwendung des Begriffs und der Umgang mit Verschwörungstheorien an Klarheit und Kompetenz zulegen. In ihrem Ausblick zum angemessenen Umgang mit Verschwörungstheorien betonen die Autoren die Notwendigkeit zunehmender Polarisierung und Pauschalisierung mit Mäßigung und Differenzierung entgegenzuwirken, gestehen gleichzeitig aber die praktische Aussichtslosigkeit dieses Wunsches ein (vgl. S. 269).
Zukünftig sei entscheidend, vor allem mit Blick auf Verschwörungstheorien, den Umgang mit Informationen im Internet auf der Basis demokratischer Grundsätze mit der Kompetenz einer neuen „digitalen Mündigkeit“ (S. 273) auszustatten. Hier beziehen sie sich auf den Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen und der Idee eines „redaktionellen Ich“ (ebd.).
Mit ihrem Buch gelingt den Autoren eine wichtige Leistung. Sie verdeutlichen treffend, dass die Selbstgewissheit im Umgang mit Inhalten, die vorschnell im negativen Sinne als Verschwörungstheorien kategorisiert werden, eine eigene schwerwiegende Gefahr birgt: Das Ideal eines Universalismus als demokratisches Prinzip wird gefährdet. Das Recht zu sprechen und gehört zu werden, falle hierdurch unter die Einschätzung, dass es eine unbestreitbare Eindeutigkeit der ›Wahrheit‹, ›der Wissenschaft‹ und ›der Verschwörungstheorie‹ gebe. Wird auf diese Weise jedoch eine Meinung pauschal eingeschränkt, weil sie als Verschwörungstheorie gebrandmarkt ist, entsteht ein neues Problem. Ein Freibrief für Verschwörungstheorien ist dies natürlich nicht.
Quellen und Verweise
[1] Vgl.: Blume, Michael: Verschwörungsmythen. Woher sie kommen, was sie anrichten, wie wir ihnen begegnen können. Ostfildern: Patmos Verlag, 2020, S. 19; 134f.