
Warum gibt es Staaten? Warum sollte es welche geben? Die wahrscheinlich bekannteste Antwort lieferte der Philosoph Thomas Hobbes. In seinem Werk zur politischen Philosophie mit dem Titel Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und staatlichen Gemeinwesens von 1651 setzte Hobbes den Grundstein der modernen Politikwissenschaft und lieferte eine Antworten auf die Frage nach der Legitimation des Staates.
INHALT | ÜBERBLICK |
---|---|
|
|
Ziel und Entstehungsgeschichte
Der englische Staatstheoretiker, Mathematiker und Philosoph Thomas Hobbes (1588-1679) gilt als Begründer des aufgeklärten Absolutismus und ist neben John Locke und Jean-Jacques Rousseau einer der bedeutendsten Theoretiker des sogenannten Gesellschaftsvertrags.
Die zentrale Aufgabe in der Formulierung eines solchen Vertrages ist die Legitimierung eines Staates – wie kann man die Rechte eines Staates begründen?
Wie kann man also begründen, dass es erlaubt sein muss, die persönliche Freiheit an eine veräußerlichte Instanz zu übergeben und dieser außerdem eine enorme Macht zu verleihen, die in eine Berechtigung resultiert, von anderen Menschen Besitz in der Form von Steuern einzutreiben?
Hobbes‘ Ziel war es, der Politik eine rationale Basis zu verleihen. Das heißt also zu erklären, dass es sinnvoll und vernünftig ist, einen Staat zu haben, der die Berechtigung besitzt, mich in meiner Freiheit und meinem Besitz legitimerweise einschränken zu können.
Besonders auffällig mag natürlich der Titel des Werks sein: Leviathan. Die Kenner christlicher Mythologie werden diesen Namen sofort wiedererkennen. Hobbes spielt damit auf das Seeungeheuer an, das zum Beispiel im Psalm 104 genannt wird. Auf die Bedeutung des Namens als Metapher für den Staat werden wir später noch zurückkommen.
Hobbes im Konflikt mit seinen Vordenkern
Natürlich war Hobbes nicht der erste Philosoph, der eine umfassende Staatstheorie formuliert hat. Bereits in der Antike gab es verschiedene Versionen politischer Modelle, die vor allem durch Platon und auch seinen Schüler Aristoteles begründet wurden. Jedoch nutzt Hobbes in seiner Theorie ein Merkmal, das drastisch von den antiken Theorien verschieden ist.
Aristoteles beispielsweise sah den Menschen als ein von Natur aus staatliches oder auch politisches Wesen, also ein zoon politikon, das naturgemäß in einer sozialen Gemeinschaft lebt:
Hieraus erhellt, dass der Staat natürlichen Ursprungs ist und dass der Mensch seiner Natur nach ein staatliches Wesen ist und dass ein von Natur, und nicht bloß zufällig, außerhalb des Staates stehendes Wesen entweder schlecht ist, oder übermenschlich, wie auch Homer einen solchen schimpflich als »fremden Stammes« und als einen »Recht- und Herdlosen« bezeichnet. [1]
Eine Hierarchie der Menschen und des menschlichen Zusammenlebens ist demnach als naturgemäß vorgegeben gedacht. Der Staat ist etwas Natürliches, genau wie es natürlich ist, dass es Menschen geben muss, die zum Führen dienlich sind, und andere, die zum Gehorchen taugen, so Aristoteles.
Hobbes war da anderer Meinung und stellte sich sogar so weit gegen Aristoteles, dass er in der Widmung seines Werkes De Cive (Über den Bürger) davon spricht, die bisherigen Schriften der Moralphilosophen (zu denen auch Aristoteles zählt) hätten zur Erkenntnis der Wahrheit nichts beigetragen. [2]
Für Hobbes hat Aristoteles Politik nicht zu Ende gedacht. Die Frage sei doch, warum jeder einzelne Mensch sich in eine Gemeinschaft des Staates zusammenschließen würde. Der Staat ist demnach offensichtlich ein Erzeugnis des Menschen, den dieser selbst entwirft. Damit kommt Hobbes sogleich zu einer wichtigen Unterscheidung, nämlich zwischen dem Naturzustand und dem Staatszustand.
Ausgangspunkt: der Naturzustand
Hobbes stellte sich eigentlich bloß die Frage wie die Menschen von einem staatenlosen Naturzustand in einen Zustand geordneter Vergesellschaftung gelangen und warum sie das tun. Der Grund dafür muss ja irgendwie im Naturzustand selbst liegen, denn sonst gäbe es keine Motivation diesen zu verlassen.
Übrigens zum Begriff des Naturzustands: Man könnte meinen, es handelt sich hier um einen Zustand à la stupider Höhlenmensch, doch das ist hier überhaupt nicht gemeint. Naturzustand soll einfach nur den Zustand ohne Staat bezeichnen. Ob die Menschen deshalb zwingend in Felle gehüllt durch die Gegend rannten, steckt in dem Begriff nicht drin.
Um nun verstehen zu können, wie sich Hobbes diesen Übergang von Natur- zu Staatszustand vorgestellt hat, muss man seine politische Anthropologie, also sein Menschenbild nachvollziehen können, das darauf basiert, wie der Mensch im Naturzustand, also ohne Staat, faktisch ist.
Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf
Hier finden wir Hobbes‘ vielzitierten Spruch wieder: homo homini lupus est. Zu Deutsch: Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Doch leider finden wir hier auch ein weiterverbreitetes Missverständnis. Oftmals wird Hobbes zu früh unterstellt, er hätte ein durchweg negatives Menschenbild. Viele glauben, dass Hobbes den Menschen als von Natur aus böse gedacht hat. Das stimmt nicht.
Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, weil er keine andere Wahl hat. Im Grunde ist er friedliebend, doch durch seine zwei Grundmotive, die nach Hobbes erstens Selbsterhaltung und zweitens Nutzenmaximierung sind, gerät der Mensch im Naturzustand in einen Krieg aller gegen alle, weil er den anderen Menschen im Rahmen einer Kooperation nicht vertrauen kann.
Das menschliche Leben im Naturzustand ist einsam, armselig, ekelhaft, tierisch und kurz, so Hobbes. [3, S.96]
Misstrauen lenkt den Menschen im Naturzustand und nicht Bosheit. Dieses Misstrauen ist jedoch nur das Resultat rationaler Überlegungen. Denn schließlich kann sich keiner sicher fühlen, sogar der Intelligenteste und Stärkste kann es nicht, da was die Körperstärke betrifft, so ist selbst der Schwächste stark genug, den Stärksten zu töten – entweder durch Hinterlist oder durch ein Bündnis mit anderen. [3, S.94]
Die folgende Überlegung soll das Szenario des Naturzustands verdeutlichen.
Das Gefangenendilemma
Hobbes geht von durchaus rationalen Akteuren aus. Das Problem ist wie gesagt das Misstrauen untereinander. Gehen wir einmal davon aus, dass wir zwei Handlungsakteure haben: A und B. Dies könnten zwei Menschen sein, zwei Familien, jedenfalls staatenlose Gemeinschaften.
Jeder hat zwei Möglichkeiten zu handeln, und zwar Kooperation und Nicht-Kooperation, d.h. also Angriff. Wenn beide Akteure kooperieren, geht es beiden auch entsprechend gut. Jeder kann seine Arbeit ungestört verrichten, sie helfen einander und rücken sich nicht gegenseitig auf die Pelle.
Wenn jedoch beide Akteure auf Angriff getrimmt sind, gelangen sie in einen Kriegszustand, der von beiden Seiten enorme Ressourcen erfordert und demnach starke Verluste mit sich führt. Der Endzustand wäre dann für beide Teile ein schlechter. Interessant sind die anderen Kombinationen.
Wenn A kooperiert und B nicht kooperiert, dann steht A plump gesagt völlig ohne Hosen da und wird von B ausgenommen. B geht es daraufhin sehr gut, weil er die Erträge von A einsackt, während es A sehr schlecht geht, weil er eben ausgeraubt wurde. Dasselbe gilt natürlich auch umgekehrt. Schematisch sieht dies wie folgt aus:
Es zeigt sich nun durch einfache rationale Überlegungen, dass es immer vorteilhaft ist, nicht zu kooperieren, weil der Durchschnitt des Wohlstands durch diese Handlungsoption am größten ist. Dieses einfache Beispiel aus der Spieltheorie ist bekannt als das Gefangenendilemma.
Kooperation ist gut, aber für den einzelnen Akteur wäre es sogar noch vorteilhafter, wenn sich alle an die Regel vernünftiger Kooperation halten, nur er selbst nicht.
Die Akteure sind natürlich keinesfalls dumm! Sie sehen beide, dass es besser für sie wäre, zu kooperieren, aber wie gesagt: Das Problem ist eben jenes, dass ich meinem Nachbar nicht vertrauen kann. Er weiß schließlich auch, dass es für ihn besser wäre, mich anzugreifen, wenn wir eigentlich ausgemacht haben, in Frieden zu leben. Es muss eine Lösung her, um dieses Dilemma zu umgehen.
Der Gesellschaftsvertrag
Die einzige mögliche Lösung aus diesem Dilemma ist es, jeden dazu zu zwingen, zu kooperieren. Dies kann nur eine Form der Zwangsgewalt schaffen, welche diejenigen bestraft, die gegen ebendiese vernünftigen Regeln der Kooperation verstoßen. Durch diese Strafen wird sich ein Regelverstoß nie mehr lohnen. Demzufolge ist es für jeden vorteilhafter, sich der Kooperation anzuschließen.
Diesen Austritt aus dem Naturzustand beschreibt Hobbes nun als einen Vertragsschluss zugunsten des Staates respektive einer Staatsformung überhaupt, der auf zwei zentralen Aspekten beruhen muss, damit er sinnvoll funktionieren kann:
- Jeder gesteht wechselseitig jedem gleiche eingeschränkte Freiheiten ein.
- Es wird eine Gewalt autorisiert, die überwacht und falls nötig bestraft.
Was Hobbes mit seiner Argumentation zu liefern imstande ist, ist eine Art von Staatsbeweis, das heißt also eine rationale Begründung dafür, dass jeder unter den gegebenen Umständen eines Naturzustands, einem Staatszustand jedem anderen Zustand vorziehen würde. Damit hat Hobbes eine Legitimation für den Staat geschaffen.
Wieso der Name ›Leviathan‹?
Zu Beginn des Artikels habe ich kurz darauf hingewiesen, dass der Name des Werks auf ein Ungeheuer aus der christlichen Mythologie anspielt. Hobbes hat diese Analogie wahrscheinlich aus mehreren Gründen für passend gefunden. Einen ersten Grund finden wir im 17. Kapitel seines Werks:
Der Vertragsschluss ist die Erzeugung jenes großen Leviathan oder besser, um es ehrerbietender auszudrücken, jenes sterblichen Gottes, dem wir unter dem unsterblichen Gott unseren Frieden und Schutz verdanken. [3, S.134]
Das Seeungeheuer ist ein machtvolles Wesen, das seine Herrschaft über alle Menschen ausbreitet. Metaphorisch gesprochen bleibt er aber nur ein sterblicher Gott, da doch der Staat lediglich vom Menschen erschaffen wird. Das zentrale Motiv ist jedoch die Macht, das heißt die Herrschaft der Gewalt.
Hobbes stellt deutlich heraus, dass ein Gesetz ohne Strafe sinnloses Gerede ist. Darum muss der Staat mit brutaler Härte eingreifen, wenn es denn nötig wird, die Menschen für ihre Regelbrüche zu bestrafen. Dies ist wahrscheinlich der Hauptgrund für diese Namensgebung: Der Staat ist im Grunde nichts anderes als ein machtvolles Ungeheuer vor dem man sich fürchten muss.
Quellen und Verweise
[1] Aristoteles: Politik. Übersetzt von J. H. v. Kirchmann, 1888, 1253 a 1.
[2] Vgl.: Hobbes, Thomas: Vom Menschen, vom Bürger. Herausgegeben von Günter Gawlick. Hamburg: Felix Meiner Verlag, 1994, S.61.
[3] Hobbes, Thomas: Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates. Übersetzt von Walter Euchner, herausgegeben von Iring Fetscher. Frankfurt a. M., 1984.
Hallo Lukas,
Ich bin zufällig auf deinen Philosophie Blog gestoßen. Ich bin ebenfalls Philosophiestudent. Ich finde deine Idee spannend philosophische Themen einfacher aufzubereiten. Bei dieser Einfachheit erscheint es mir aber Notwendig gewisse Schwierigkeiten nicht außen vor zu lassen. Ich habe dementsprechend ein paar Anmerkungen zu deinem Text über Hobbes Leviathan. Was in dem Text nicht definiert wird und ein nettes Allerweltswort ist, ist der Begriff der Rationalität. Jeder denkt sich bei Rationalität, das ist irgendwie systematisches Denken ohne Gefühle. In einer kontraktualistischen Moral steht diese Form der Rationalität nicht im Vordergrund. Sie ist präziser an einen Nutzen und vorallem an Objektivität geknüpft. Es ist sehr spannend sich in dem Kontext dann mit Hobbes Nominalismus nochmal auseinander zu setzen, der die epistemologische Grundlage für Rationalität bietet. Des Weiteren ist es wichtig, wenn man Aristoteles von Hobbes unterscheiden möchte darauf einzugehen, was ein Bürger ist und wie die Regeln für Bürger sind. Also, wie sieht gerade bei Hobbes eigentlich die Gesellschaft aus und was für einen Herrscher stellt er sich vor? Zuletzt noch eine methodische Feinheit: Wenn du nicht mit den original Texten arbeitest, solltest du mehrere Übersetzungen angeben, weil diese doch häufiger von einander abweichen. Durch solche Kleinigkeiten geht nämlich sehr schnell die Legitimation verloren.
Mit freundlichen Grüßen Mirko
Hi Mirko,
vielen herzlichen Dank für deine Anmerkungen.
Mir fallen beim Schreiben der Artikel ständig genau solche Schwierigkeiten auf, die du auch ansprichst.
Selbstverständlich wäre es notwendig einige Begriffe zu klären und damit in Verbindung stehende Details auszuführen.
Ich versuche bzw. muss jedoch in einem gewissen Rahmen von Umfang und Inhalt bleiben und verfolge deshalb meist immer ein sehr enges Ziel, d.h. zum Beispiel eine einzelne Begründungskette, wie ich es hier mit Hobbes versucht habe. Wie du selbst weißt, lässt sich über praktisch jedes Thema der Philosophie so viel schreiben wie es beliebt, aber nach 2000 Wörtern muss auch ich einen Schlusspunkt setzen. Ich würde solche ‚Ergänzungen‘ wie etwa den Vergleich des Bürgers zwischen Aristoteles und Hobbes höchstens in einem anderen Artikel ausführen können. Darüber hinaus muss man ja auch anmerken, dass wohl jeder Philosoph bei der Interpretation bzw. für das Verständnis eines Gedankens verschiedene Schwerpunkte setzt. Du hättest noch den Begriff der Rationalität ausgeführt und damit liegst du sicherlich richtig. Was die methodische Feinheit angeht, erscheint dir das für einen lockeren Blog notwendig? Legitimation hin oder her, ich schreibe hier nicht mit wissenschaftlichem Anspruch :D. Vielleicht hätte ich in einem solchen Fall das englische Original mit angeben können. Das werde ich mir noch überlegen.
Nochmals vielen Dank für deine Anmerkungen und viel Erfolg beim Studieren!
Herzliche Grüße,
Lukas